Verfassung
Jetzt ein philosophisches Thema. Ich stelle euch die hypothetische Frage: Würde eine neue Verfassung heute die Politik „besser“ machen.
Manche würden darauf mit einem enthusiastischen Ja reagieren. Ich bin aber skeptisch. Warum?
Dazu schaue ich auf die europäische Geschichte. Die Französische Revolution entstand nicht ursachenlos und wurde auch nicht durch einzelne Persönlichkeiten initiiert. Vielmehr sind solche gesellschaftlichen Umbrüche ein Massenphänomen, das langsam aufgrund von sozio-ökonomischen Faktoren reift und dann ausbricht. Eine individualistische Geschichtsschreibung basiert auf mangelhaften Kenntnissen von ökonomischen, soziologischen und politischen Kenntnissen.
Die Französische Revolution hatte gute intellektuelle Vorkämpfer, die jedoch nichts bewirkt hätten ohne die komplexen Wirkmechanismen einer ausdifferenzierten Gesellschaft.
Über eine neue Philosophie lassen sich zwar neue Normen in Form von vielfältigen Gesetzen deduzieren, jedoch ohne eine verbindliche empathische Ethik dahinter hätten sie keinen Wert. Ein gutgemeinter Eklektizismus kann eine allgemeine Ethik nicht ersetzen. Wenn die Parlamentarier keine gefestigten humanitären Normen besitzen, werden sie ihre Meinung dauernd ändern und sich opportunistisch verhalten. Dann wird ein Kriegseinsatz als Friedenseinsatz verkauft, wo humanitäre Leistungen vor Ort viel besser wären. Dann schlägt sich auch ein Papst auf die Seite einer Kriegspartei und verliert seine Autorität als Friedensstifter. Parlamentarier können dann ungestraft Gesetze umdeuten und umgehen. Eine enorme Schuldenaufnahme wird als Sondervermögen deklariert, was es aber nicht ist.
Eine Verfassung hat natürlich keine Bedeutung, wenn nur ein Artikel ausreicht, um alle anderen Artikel, die zu den Menschenrechten gehören, auszuhebeln. Sie besteht dann nur aus Buchstaben.
Ich denke nicht individualistisch bei historischen Analysen, es sind kollektive Wirkmechanismen am Werk, gar nicht so abhängig von den momentanen Figuren an der Spitze. Die Völker agieren aus ihrem Charakter heraus, der sich nicht verliert. Ich habe mich damit intensiv beschäftigt.
Einen Journalisten, den ich hochschätze, war Peter Scholl-Latour, der sehr gebildet war und sich überall vor Ort ein Bild machte und mit allen Beteiligten sprach. So etwas ist bei den allermeisten heutigen Journalisten nicht zu finden, geschweige denn bei Politikern aller Couleur bis auf wenige machtlose Ausnahmen.
Wer souveräne Staaten militärisch bedroht oder sie mit Sanktionen belegt, was nichts anderes als Entrechtung bedeutet, treibt sie in die Enge. Sie werden eines Tages zurückschlagen.
(11.04.2022)