Horror

Wer Horror pur erleben möchte, braucht nur in die Vorlesung Mathematik für Physiker an der Uni Köln zu gehen. Die Studenten werden unablässig gehetzt, alles von der Tafel abzuschreiben, während der Professor pausenlos spricht. Ich schätze, von den 600 Zuhörern werden nicht viele übrig bleiben. Mir ist bewusst geworden, was ich noch nicht weiß. Es wird ein hartes Stück Arbeit, das fehlende Wissen aufzuholen und richtig anzuwenden. Sieben Themen wurden durchgenommen (Vollständige Induktion bei einer Summe, Teilbarkeit, Vergleich von riesigen Potenzzahlen,geometrische Reihe, Permutationen, Binomialkoeffizienten, reelle Zahlen) und das nur in 90 Minuten!

Heute habe ich 7 Seiten Axiome und Beweise mitgeschrieben, die den Umgang mit Zahlen behandeln. Wie im täglichen Leben gibt es in der Mathematik neutrale und inverse ("feindliche") Elemente, bestimmte Verbindungen miteinander und eine große Unverträglichkeit, die Division durch null. Das soll ja auch vorkommen, dass ein "fauler" Apfel im Korb liegt oder ein "giftiger" Apfel, der dem Schneewittchen fast das Leben kostete. Interessant fand ich die Tatsache von "Gruppen" und "Körpern", die bestimmte Strukturen darstellen. Kennt man die Struktur von unbekannten "Entitäten" (Wesenheiten, Objekten), dann kann man vorhersagen, welche Gesetzmäßigkeiten dort herrschen. Vor diesem Hintergrund ist die höhere Mathematik mehr als nur Formeln auszurechnen. Sie ist ein Instrument der abstrakten Erkenntnis, die auch praktisch einsetzbar ist.

Die Schulmathematik bis zur mittleren Reife und die Hochschulmathematik passen überhaupt nicht zusammen. Zwischen ihnen befindet sich ein tiefer, unüberwindbarer Graben, wie mir beim Üben mit meinem Sohn klar geworden ist. Jugendliche können noch nicht die mathematischen Abstraktionen verstehen, wie sie beim Studium nötig sind. Die höhere universitäre Mathematik ist nur für Personen geeignet, die genügend Reflektionsvermögen und Selbstdisziplin aufwenden, um in die abstrakte Welt der Mathematik einzudringen und sie zu begreifen. In der höheren Schule können Rechenmethoden eingeübt werden, die durchaus auch Praxisrelevanz in Form von Testaufgaben haben, aber das tiefere Verständnis von Mathematik wird den Schülern nicht gelingen (bis auf ein paar "Überflieger"). Was das für die Ausbildung von Mathematiklehrern, die Gestaltung von Schulbüchern und den Unterricht zu bedeuten hat, sei zur Diskussion gestellt.