Mathematik für Physiker

Mein Semesterstundenplan steht jetzt fest. Ich bin ausgelastet und kann neue Welten entdecken. Am liebsten gehe ich zu den Sprachkursen. Die Mathematik ist ein notwendiges Übel, um Physik zu verstehen. LaVa steht als Abkürzung für lineare Algebra und Vektoranalysis, ein schwieriger Brocken. Bei der letzten Nachprüfung in diesem Fach sind 80 % durchgefallen, wie ich das recherchiert habe. Im Physikstudium findet eine rigorose Auslese statt. Schließlich werden bei der Bachelerprüfung nur eine Handvoll übrig bleiben. Ich könnte dieses Studium zur Zeit auch nicht schaffen. Dazu müsste Hirn vom Himmel fallen.

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Es wird ernst. Nach den Vorübungen in Mathe und Physik im März startet mein Sommersemester mit einigen schönen Vorlesungen und Seminaren. Das wird eine Herausforderung sein und auch sehr schön. Neue Erkenntnisse über die Entwicklung unserer Sprache von vor 6000 Jahren bis zur Antike werde ich erhalten. Die tolle altgriechische Sprache kann ich jetzt eingehend kennen lernen. Auch werde ich Einblicke in das physikalische Geschehen unserer Welt erhalten. Ich wünschte Olivier Simon könnte mit mir das Indogermanistik-Seminar besuchen. Er hat darin ja schon so ein vertieftes Wissen.

 

 

Hurra! Endlich geschafft! Der Vorkurs Physik ist nach drei Wochen zu Ende (März 2019). Ich wäre sonst zusammengebrochen. Heute gab es als „Abschiedsgeschenk“ die komplexen Zahlen, mit denen man bequem komplizierte trigonometrische Berechnungen vereinfachen kann. Professor Schadschneider, eine Koryphäe in Physik, hat es so dargestellt, dass auch ich es verstehen konnte. Jetzt muss der gesamte mathematische Stoff noch sacken. Ab der nächsten Woche habe ich dann wöchentlich nur noch zwei Vorlesungen in Mathematik. Leider wird im Sommersemester nur der zweite Teil der mathematischen Methoden angeboten. Ihr könnt euch also vorstellen, was auf die Studenten zukommt, wenn sie gleich ins kalte Wasser springen müssen, ohne schwimmen zu können. Sie müssen sich die fehlenden Grundlagen alleine beibringen, sonst würden sie untergehen wie eine bleierne Ente. Bei den Onlinetests haben beim letzten Thema Integralrechnung nur ein Viertel der Teilnehmer mitgemacht. Ich habe sogar die beiden Tests mit der Differenzial- und Integralrechnung bestanden und Aufgaben an der Tafel vorgerechnet. Ich bin also nicht doof geblieben und habe mich stetig gesteigert. Das Alter ist also kein Hinderungsgrund, Leistung zu bringen, was Arbeitgeber gerne vergessen und Abteilungen schließen, wie ich das persönlich erlebt habe. Das Perfide ist, dass sie dann eine neue Firma gründen, um dort junges Personal einzustellen, die ähnliche Tätigkeiten verrichten.

 

Heute hatten wir Tutorenwechsel im Vorkurs Physik. Eine junge Doktorantin übte mit uns. Sie ist sehr sympathisch und ermuntert uns, an der Tafel zu arbeiten. Die Analysis gefällt mir besser als die lineare Algebra. Eine simple Aufgabe habe ich auch an der Tafel dargestellt. Nur noch diese Woche ist der Mathemarathon. Dann beginnt der Ernst des Studiums für die anderen mit echten Noten. Ich kann dann erst mal das Tempo rausnehmen und mich auch mit Sprachen beschäftigen, die mir mehr liegen.

 

Erste Hilferufe sind im Vorkurs zu hören. Diskussionen werden mit der Übungsleiterin angestoßen über die Schwere der Aufgaben. Ihre Antwort ist, die Teilnehmer hätten sich ein superschweres Fach mit hohen mathematischen Anforderungen ausgesucht, womit sie vollkommen Recht hat. Die Studierenden, wie heute die Studenten genannt werden, müssten daher viel üben. Wer erst vier Wochen vor der Klausur begänne, würde durchfallen. Ohne Üben zu Hause ginge es nicht. Als ich dann von einem Kommilitonen hörte, dass er nach zehn Minuten intensiver Auseinandersetzung mit einer Aufgabe aufgegeben hätte, musste ich innerlich den Kopf schütteln. Solche Kandidaten werden in diesem Fach scheitern. Ich war schon mehrmals an der Tafel und habe dort Fehler fabriziert, aber dadurch gelernt. Ohne Fleiß keinen Preis. Zum Glück ist das nicht wie in meinem alten Berufsleben: war ich dort mit einer Aufgabe schneller als erwartet fertig, wurde ich gleich mit neuer Arbeit vollgeschüttet. Jetzt habe ich wenigstens Verschnaufpausen.

 

Heute wurden neue Infos über das Physikstudium von der studentischen Fachschaft dargelegt (März 2019). Ein Doktorand der Biophysik führte uns anhand eines komplexen mathematischen Modells vor, wie Gene aufeinander einwirken. Das wird mittels statistischer Physik ermittelt. Für Mathematiker der reinste Leckerbissen. Dann wurde uns ein Labor gezeigt, wo der Dozent einfache Experimente mit flüssigem Stickstoff und supraleitenden Magneten vormachte. In der Werkstatt nebenan werden Instrumente und Gerätschaften für die experimentelle Physik von den Feinmechanikern nach den Zeichnungen der Professoren selber hergestellt. Sie können Materialien auf den Hundertstel Millimeter genau bearbeiten. Das war alles sehr interessant. Ein Physikstudium ist eine feine Sache, wenn da nicht die leidige Sache mit der höheren Mathematik wäre. Aber da muss ich durch. Morgen geht es weiter mit der Vektoranalysis, ein neues Thema, allerdings für Fortgeschrittene.

 

Morgen ist erstmal Pause. die lineare Algebra haben wir durch, war schwer genug für mich, immer zu folgen (März 2019). Immerhin habe ich pro Vorlesung etwa 12 Seiten mitgeschrieben in einem Affentempo. Der Professor schwelgte vor seinem Pult nicht in Erinnerungen, sondern wie klar alles wäre und unterstrich dies durch Gesten. Immerhin konnten einige Studenten ihn bei Schreibfehlern ertappen. Das sind die Überflieger. Täglich drei Stunden Mathematik in der Universität schlaucht. Eine Vorlesung hat den Vorteil, dass man bei den Zeichnungen mitbekommt, was dargestellt wird. Man kann schrittweise den Werdegang mitverfolgen. In Büchern sind nur die fertigen Zeichnungen zu sehen und es fällt schwerer zu erkennen, wie sie entstanden sind. Das Gleiche gilt für die Rechenschritte. Sie erfolgen sequentiell. Auch wenn man sie nicht versteht, bleibt doch einiges im Gehirn haften. Noch effizienter wäre eine Vorlesung, wenn sie durch ausgebildete Pädagogen erfolgen würde. Solange noch genügend Studenten ihren Abschluss schaffen, wird sich daran nichts ändern, dass die Vorlesungen keinem didaktischen Standard entsprechen. Die anderen, die interessiert sind, aber nicht so schnell folgen können, bleiben bei dem heutigen System außen vor. Das ist sehr schade. Bei mir ist das nicht schlimm. Ich brauche keinen Abschluss. Mein Abschluss findet irgendwann in einem ausgehobenen Quader statt, was man gemeinhin als Grab bezeichnet. Bis dahin habe ich das Vergnügen an den interessanten physikalischen Erläuterungen, die nebenbei erfolgen. Der Elan der jungen Leute ist ansteckend, deshalb mache ich weiter. Frust wie bei meiner alten Arbeitsstelle erlebe ich nicht. Die Studenten sind hoch motiviert.

 

Schluss für heute. Nach vier Stunden intensivem Üben bin ich geschafft. Dabei habe ich noch keine Aufgabe gelöst, nur die Rechentechnik anhand eines Lehrbuchs nachvollzogen. Es ging um die Multiplikation von Matrizen und inverse Matrizen. Damit werden Drehbewegungen in der Physik bestimmt. Wenn ich an das kaufmännische Rechnen zurückdenke, bekomme ich einen Lachanfall, auch darüber, was ich jahrelang in der Firma machen musste. Auch wenn ich Schlusslicht bin, gefällt es mir unter den jungen Studenten sehr gut. Ich kann zu ihnen hochschauen und freue mich über ihre Fähigkeiten. Die Gesprächsthemen sind ganz anders als in der alten Firma, sehr interessant und aufschlussreich. Der Arbeitsaufwand ist immens, täglich drei Stunden höhere Mathematik und eine Stunde fachlicher Austausch mit den Kommilitonen. Zuhause schaffe ich noch drei Stunden. Das ist noch zu wenig, um die Stofffülle zu bewältigen. Die Ausrede, man wäre zu alt, lasse ich nicht gelten. Dann brauche ich eben länger und muss härter arbeiten. Nur so ist ein erfolgreiches Studium zu schaffen. Ich hatte Professor Berg angeschrieben, der im Sommersemester die Vorlesung Vektoranalysis und lineare Algebra abhält. Er sprach von einem „steilen Anstieg“ der mathematischen Anforderungen, womit er völlig recht hat. Er hätte besser von einem „extremen“ Anstieg sprechen sollen. Aber das ist nicht schlimm. Davon lasse ich mich nicht abschrecken. Die Physik ist einfach zu schön. Auf dem Foto ist ein Beispiel zu sehen, dass die Lösung einer Aufgabe schon mal mehrere Seiten in Anspruch nimmt. Der Übungstutor bemerkte freundlich, dass diese Aufgabe nicht besonders schwierig wäre. Wenn dem so ist, dann kann ich erahnen, wie sie im höheren Semester aussehen. Zum Glück habe ich genügend Papier.

 

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Die Teilnahme am Vorkurs für Physik bröckelt. Der trockene Vorlesungsstoff und die super schwierigen Übungsaufgaben zeigen Wirkung. Im Marketing würde man von einem Fehlschlag bei der Produkteinführung ausgehen. Das kümmert aber nicht den Universitätsapparat. Gerade was für unsere moderne Gesellschaft so wichtig ist, wird suboptimal angegangen. Ich schreibe weiterhin mit und versuche, Schritt zu halten. Das Thema ist einfach zu spannend. Ich möchte auch einmal so profund wie unserer Professor mit der linearen Algebra umgehen, auch wenn es mir jetzt so schwer fällt.

 

Jetzt habe ich einen mathematischen Leckerbissen mitgebracht, ein Anschauungsobjekt, wie ein Kurs in linearer Algebra aussieht. Zunächst sind da ganz viele Buchstaben und Indizes zu sehen. Was sie bedeuten, ist mir unklar, irgendetwas wird mit einem Kreuzsymbol multipliziert, warum auch immer. Ich habe sie im Affentempo mitgeschrieben. Der Professor schreibt sein Blatt ab, und die Studenten schreiben das Gleiche ab. Jeder ist fleißig am Schreiben. Was das Geschriebene bedeutet, ist mir jedenfalls unklar. Es ist wie eine Religion. Man glaubt einfach an die Wahrheit. In der Übung soll man dann damit umgehen und rechnen. Ich benutze zuhause eigene Lehrbücher, wo durchgerechnete Beispiele drin stehen, damit ich wenigsten etwas verstehe. Was der Professor zuvor vorgeschrieben hat, kann ich nicht verstehen. Vielleicht sind die Verlesungen extra darauf angelegt, dass der Vortragende beweisen kann, er habe es verstanden. So kann ich die Übungsaufgaben zu unter 50 % bestehen. Durchfallen kann ich aber nicht, haha. Mein Gehalt kommt pünktlich am Monatsende aufs Konto. Wer also Physik als Beruf studieren möchte, sollte sich vorher anschauen, was ihn erwartet. Hat jemand den kleinen Fehler gesehen auf dem Foto? Zumindest strukturelle Fehler erkenne ich.

 

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Heute hatte ich das Vergnügen, in einer Vorlesung zur mathematischen Einführung in die Physik zu sitzen und den Ausführungen des Professors zu folgen. Das Thema Vektoren wurde besprochen, ein unverzichtbares Mittel, um z.B. Geschwindigkeiten und Kräfte im Raum zu bestimmen und Voraussagen über den Aufenthaltsort von Körpern, Masseteilchen oder sonstige Dingen machen zu können. Hört sich doch gut an. Als Belohnung erhielten wir Übungsaufgaben für zuhause, die wir brav lösen sollten. Sie sind nichts für Leute mit Transpirationsproblemen. Ich kam nämlich schön ins Schwitzen. Ich darf nicht klagen. Ich habe mir ja u.a. Physik als Studienfach ausgesucht. Morgen geht es weiter mit der schönen Mathematik.

 

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Ein anstrengender Universitätstag ist zu Ende. Heute wurde uns der Teilchenbeschleuniger erklärt, der sich im Keller des physikalischen Gebäudes befindet. Wegen einer evtl. Strahlenbelastung mussten wir ein Formular unterschreiben. Was man alles wissen muss, um dieses Riesending zu bedienen und die Hintergründe zu verstehen. Das wird ausführlich ab dem zweiten Semester gelehrt. In der Astrophysik wurde uns erklärt, wie man nach Molekülen sucht, die bei der Sternengeburt entstehen. Man hat schon einige Moleküle entdeckt, die eine Vorstufe für Leben darstellen. Der Professor war mit Leib und Seele dabei. Wie würde Mr. Spock sagen: „Faszinierend.“

 

Heute war ich in einer Einführungsveranstaltung für Physik. Die Erstsemester wurden begrüßt und lernten sich gegenseitig kennen mit einem intelligenten Spiel. Hier konnte ich erleben, wie intelligent manche waren und akrobatische Gedächtnisleistungen brachten. Alle Achtung! Die werden es packen. Ich gehöre eher zum Mittelfeld, Steigerungspotenzial inbegriffen. Es wurden die diversen Bibliotheken gezeigt, und wir machten einen weiten Rundgang zu den verschiedenen Instituten, die für Lehramtskandidaten relevant sind. Wir stellten uns gegenseitig vor, aßen in der modernen Mensa, wo das Essen hinter den Theken frisch zubereitet wurde. Am Abend gab es einen vergnüglichen Teil mit Grillen und Musik. Der Tag hat richtig Spaß gemacht. Morgen geht die Einführung mit einem thematisch vertiefenden Programm weiter, bevor nächste Woche der mathematische Vorkurs für die Physiker beginnt, täglich drei Stunden. Das wird eine schöne Zeit für mich. Endlich werde ich mental gefordert, anders als an meinem letzten Arbeitsplatz mit simplen Grundrechenarten und Prozentrechnung.

 

Wie man mathematische denkt, kann ich an einem Beispiel demonstrieren. Es soll die Ableitung von sin x gebildet werden. Das geht nach dem Schema einer Steigungsberechnung vor sich, das schon in der 9. Klasse gelehrt wird. Allerdings werden hier nur Differenzen der y- und x-Achse ins Verhältnis zueinander gesetzt, profan gesprochen dividiert. In der höheren Mathematik hingegen werden Variablen benutzt. Man geht weg von der reinen Arithmetik. Um die Ableitung einer Sinusfunktion bilden zu können, braucht man eine bestimmte trigonometrische Formel, algebraische Regeln und den Limes für einen bestimmten Sinusausdruck. Das will ich nicht im Detail erläutern. Was ich ausdrücken will, ist, welche Denkweise hinter der höheren Mathematik steckt. Man hat eine Aufgabe und versucht sie mittels vorgegebener Methoden richtig zu lösen. Die Kreativität eines Mathematikers besteht nun darin, die geeigneten Theoreme (Sätze) herauszusuchen und sie systematisch logisch korrekt in vorgegebene Formeln einzusetzen. Der Denkvorgang ist evolutionär. Man fängt bei einfachen Strukturen an und verkompliziert sie schrittweise. Dazu benötigen Mathematiker ein gutes optisches Gedächtnis. Sie müssen sich die mathematischen Strukturen wie ein Kunstwerk vorstellen, nur ohne Farbe. In einer Sprache gibt es auch Strukturen, die Grammatik und Lexik genannt werden, jedoch sind mathematische Strukturen unanschaulicher und auch unübersichtlicher. Man kann sie nicht wie einen Text lesen, sondern muss sich vorstellen, welche Zusammenhänge vorliegen und welche Gedankenschritte den jeweiligen Formeln zugrunde liegen. Wenn man in einer Sprache die Grammatik intus hat, braucht man sich nur noch um die Erweiterung des Wortschatzes zu kümmern. In der Mathematik habe ich noch keine Grenze der Erkenntnis gesehen. Das meiste ist mir unbekannt. Ich kann aber nicht diejenigen verstehen, die sich einander überbieten, dass sie Mathematik nicht mögen und nicht können. Und es war immer irgendein Lehrer an dem eigenen Unvermögen schuld. Die Schulmathematik ist eine reine Übungssache. Man braucht sich nur die Lösungswege einzuprägen. Dazu gibt es auch entsprechende Bücher. Wer sich damit nicht begnügen will, der schaut in die Tiefen der höheren Mathematik und wird zu neuen Erkenntnissen gelangen. Sie erstaunen mich immer wieder.

 

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