Schlusswort

Viele Mathematikstudenten haben nur unklare Vorstellungen davon, was sie später beruflich mit ihren Kenntnissen und ihrer Art zu denken anfangen können.


Das mathematische Institut der Universität Heidelberg machte zusammen mit dem Hochschulteam Arbeitsamt eine Veranstaltung mit dem Titel „Mathematiker im Beruf“.


„Nach einer kurzen Einführung [...] wurde in insgesamt sechs Vorträgen darauf eingegangen, wie der persönliche Werdegang der Gäste vom Studium über den Berufseinstieg bis zum heutigen Zeitpunkt verlief, was ihre Tätigkeit mit Mathematik zu tun hat und inwiefern ihnen die mathematische Ausbildung in ihrem Beruf zugutekommt.“ [Pressestelle der Universität Heidelberg, 2000]


Dabei wurde klar, „
dass der Einsatz mathematischer Kenntnisse in ihren Berufen nur sehr gering oder gar nicht gefragt sei. Vielmehr sei es die Fähigkeit zum analytischen Denken, die den Mathematiker für ein Unternehmen attraktiv mache. [...] - darüber waren sich alle einig: Die Berufschancen sind glänzend.“ [Pressestelle der Universität Heidelberg, 2000]


In welchen Bereichen Mathematiker arbeiten können, habe ich einer Website der Universität Bielefeld entnommen. Dort heißt es:


„Mathematiker und Mathematikerinnen werden in den Bereichen EDV-Herstellung und -Beratung, Ökonomie und Betriebswirtschaft sowie Technik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und einigen Medizin-Bereichen eingesetzt.


Sie arbeiten bei Versicherungen und Banken, in Software-Häusern und in EDV-Abteilungen großer Konzerne, in öffentlichen Verwaltungen oder z.B. in Chemie- und Pharmafirmen. Sie können im Management mit Personalverantwortung tätig sein oder in Fachabteilungen an Projekten arbeiten oder z.B. Unternehmensberater werden.


Die Möglichkeiten sind ausgesprochen vielfältig, und der Bedarf an gut ausgebildeten Mathematikern steigt immer noch weiter an“ [Konferenz der mathematischen Fachbereiche, 2007]


Die obigen Aussagen über die Berufsaussichten eines Mathematikers sollen erst mal genügen, um die allgemeine Tendenz solcher Artikel zu demonstrieren.


Ein angehender Student oder Absolvent der Mathematik sieht sich also schon oben auf der Karriereleiter und auf der Sonnenseite des Lebens. Von Mathematik-Professoren und erfolgreichen Vertretern aus der Wirtschaft wird ihm eine interessante Tätigkeit, ein sicherer Arbeitsplatz und zudem die Erfüllung seines persönlichen Lebenstraumes suggeriert.


Mut zu machen, die Studenten zu motivieren, ihr schwieriges Studium durchzuhalten, ist ganz legitim und fördert den Lernwillen. Was ich jedoch bei den obigen Aussagen, die wahrlich nicht singulär sind, vermisse, sind Aussagen über die Ethik des Mathematikers. Das ist ein Thema, mit dem sich Mathematiker sonst nicht auseinandersetzen, die daran gewöhnt sind, sich in abstrakte Strukturen hineinzudenken und alles, was von seinen Professoren und Dozenten gefordert wird, zu erfüllen. Mit dem Begriff Ethik werden sie nicht konfrontiert, doch ist er für die Kultur einer Gesellschaft von herausragender Bedeutung.


Man könnte es auch so formulieren, wie es jetzt Denk-Usus ist, setze deine mathematischen Fähigkeiten überall dort ein, wo du dafür bezahlt wirst, ordne dich in das System bestehender ökonomischer Strukturen ein und sei ein Rädchen, an dem andere, die dazu die Macht haben, drehen. Mit anderen Worten, der Mathematiker im Beruf wird als nützliches Werkzeug für die Interessen des Unternehmens eingesetzt, hat aber keinerlei Einfluss auf das Produkt seiner Arbeit, ob es nun dazu eingesetzt wird, ungerechte Strukturen in der Gesellschaft zu verfestigen oder den Beschäftigten zu nützen. Durch die unethische Ausbildung des Mathematikers, der aufgrund seines wichtigen Knowhows unentbehrlich ist, der nicht wie ein Leiharbeiter hin- und her gestoßen werden kann, wird den Mathematikern nicht bewusst, dass sie eine tragende Rolle in der kulturellen Entwicklung in der Gesellschaft und in der Geschichte spielen. Ohne sie wäre die heutige Technologie gar nicht möglich.


Ein Mathematiker kann zwar nicht alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit in der Welt aufheben, doch für seinen Lebensweg kann er entscheiden, wie er seine guten Fähigkeiten und für wen er sie einsetzt. Dabei sollte ihm klar sein, dass ein glänzendes Gehalt nicht die Schuld aufwiegen kann, die er ansammelt, wenn er seine Kenntnisse bestimmten Menschen, Unternehmen, Regierungen, Organisationen anbietet, die einen unethischen Weg beschreiten. Er kann nicht seine persönliche Verantwortung auf seine Vorgesetzten oder bestimmte Instruktionen abwälzen. Er ist einfach zu intelligent, um solche Ablenkungsmanöver nicht zu durchschauen.


An dieser Stelle kann ich keine Empfehlungen oder Gegen-Empfehlungen für Unternehmensbranchen geben, doch eindeutig sind solche Unternehmen und Institutionen vorzuziehen, deren Ziel und Vorgehensweise auf eine menschliche und soziale Behandlung der Beschäftigten ausgerichtet sind, was vor allem im Umgang bei unternehmerischen Krisensituationen zum Tragen kommt. Wie wird damit umgegangen? Werden die Beschäftigten aus echten Notlagen des Unternehmens entlassen oder wegen besserer Renditen auf dem Kapitalmarkt (Dax-Werte)? Auch was das Unternehmen herstellt oder vertreibt, sollte beachtet werden. Erhalten die Konsumenten durch die Produkte einen gesundheitlichen Schaden, der zwar vom Staat toleriert wird, aber dennoch ein Schaden ist?


Solche ethischen Fragen sollten in die Auswahlkriterien eines ausgebildeten Mathematikers einfließen, der sich um eine Stelle bewirbt.


Eine ethische motivierte Entscheidung kann auch bedeuten, dass der Mitbewerber mit einem Grinsen auf den Lippen den Job erhält, doch ist er seiner ethischen Verantwortung nicht gerecht geworden. Unter dem Aspekt der Unendlichkeit, die nicht nur in der höheren Mathematik, sondern auch im persönlichen Leben eine große Rolle spielt, sollten die beruflichen Entscheidungen getroffen werden.