Definition der Mengenlehre

Einleitung

Die axiomatische Mengenlehre wird mit den drei Buchstaben „ZFC“ abgekürzt. Hinter diesen Buchstaben versteckt sich ein ganzer Satz: „Zermelo-Fraenkel-Axiomatik mit Auswahlaxiom“. Der neugierige Leser wird sich sicherlich über den sonderbaren Zusatz „mit Auswahlaxiom“ wundern. Und das mit Recht, denn das Auswahlaxiom nimmt eine Sonderstellung unter den Axiomen ein.


Ernst Zermelo (1871 - 1953) war der Sohn eines Gymnasialprofessors und studierte Mathematik, Physik und Philosophie. Er war ein schlauer Kopf und promovierte mit 23 Jahren mit dem Thema Untersuchungen zur Variationsrechnung (1894). Mit dem Beweis des Auswahlaxioms bewies er den Satz, dass jede Menge wohlgeordnet werden kann. Dieser Geistesblitz wurde mit einer Professur in Göttingen belohnt. Das war 10 Jahre nach seiner Promotion. Nachdenken lohnt sich also. Das ist auch beim Verständnis seiner Mengenaxiome von 1908 nötig. Er stellte sieben der heutigen zehn Axiome dar.


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Ernst Zermelo (Bild: Konrad Jakobs)


Das Fundierungsaxiom war eine harte Nuss, die erst drei Männer knackten, nämlich der Meister Zermelo selber, dann Abraham Fraenkel und John von Neumann. Thoralf Skolem hatte sich ebenfalls mit diesem Axiom abgeplagt.

 

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Abraham Fraenkel (Bild: David B. Keidan Collection)


Die Mengenaxiomatik wurde von Abraham Fraenkel (1891-1965) ergänzt durch sein Ersetzungsschema, daher auch das F in dem Kürzel ZFC. Fraenkel war Jude und überzeugter Zionist, der 1929 nach Palästina auswanderte. Er hatte den Vornamen Adolf, den er später während der Zeit des anderen Adolf (Hitler)  lieber weg ließ. Abraham Halevi gefiel ihm besser: [image].



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John von Neumann (Bild: LANL)


John von Neumann war ebenfalls ein Jude. Er stammte aus einer jüdischen Bankiersfamilie. Da musste man mit Zahlen und Geldscheinen umgehen. Sein Vater wurde als königlich ungarischer Regierungsrat in den Adelsstand erhoben, daher das „von“. Der kleine John war schon als Kind ein Gedächtniskünstler. Wer könnte ihn heute ohne Taschenrechner beim Dividieren von achtstelligen Zahlen übertreffen und das im Kopf?


Der viele Umgang mit Zahlen und abstrakten Strukturen tat ihm wohl nicht gut. Er beteiligte sich am amerikanischen Atomwaffenprogramm 1943 und befürwortete den Abwurf von Wasserstoffbomben auf die damalige Sowjetunion, heute wieder Russland genannt. Nichts bleibt ohne Folgen in der Welt, so dass er aufgrund der intensiven Strahlenbelastungen während der Atomtests an einem qualvollen Krebsleiden erkrankte und daran starb. Er war für die USA eine so wichtige Person, dass ein Soldat vor seinem Krankenzimmer postiert wurde, damit er im Delirium keine Staatsgeheimnisse ausplaudern konnte.


Neumann ist ein Paradebeispiel moralischer Blindheit von Mathematikern, die nicht die Folgen ihrer Forschungen bedenken und sich in den Dienst von bestimmten Machthabern, seien sie nun „gut“ (= demokratisch) oder „böse“ (= diktatorisch), einspannen lassen. Auch Demokratien können ebenso unangenehme Herrschaftssysteme wie Diktaturen sein.

 

Albert Thoralf Skolem (1887-1963) war ein norwegischer Lehrersohn und beschäftigte sich in seiner Dissertation über die Algebra der Logik und über die Zahlentheorie.


Nun geht es los mit der ZFC („Zermelo-Fraenkel-Auswahlaxiom“)-Axiomatik.


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ZFC-Axiomatik (Bild: www.open.clipart.org)


Was schrieb Zermelo über die Mengenlehre?


„Die Mengenlehre ist derjenige Zweig der Mathematik, dem die Aufgabe zufällt, die Grundbegriffe der Zahl, der Anordnung und der Funktion in ihrer ursprünglichen Einfachheit mathematisch zu untersuchen und damit die logischen Grundlagen der gesamten Arithmetik und Analysis zu entwickeln; sie bildet somit einen unentbehrlichen Bestandteil der mathematischen Wissenschaft.“ [Dei02, S. 268]


Die Mengenlehre ist also enorm wichtig und faszinierend zugleich.


In den Schulen sollte in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Mengenlehre Einzug halten. Doch endete dieser Vorstoß in das Reich der Mengen in einem Desaster. Schüler, Eltern und Journalisten lehnten sie einhellig ab. Ein alter Artikel aus einer Zeitschrift zeigt ihre Ablehnung sehr deutlich:


„Bei weitem die stärkste Aufmerksamkeit hat die Mengenlehre gefunden. Keine Frage - das Wort 'Menge' ist nützlich. Es bedeutet nicht mehr als Sammlung, Klasse, Gruppe usw., und zwar in dem ganz normalen und nicht technischen Sinn dieser Worte. Aber: Was wird von den Schülern alles verlangt! Sie sollen lernen, wie man Mengen vereinigt und schneidet. Wie man Teilmengen bildet. Sie sollen sich bei den leeren Mengen auskennen und bei unendlichen Mengen. Sie sollen eindeutige Zuordnung zwischen unendlichen Mengen beherrschen. Sie sollen wissen, was kleinere und größere unendliche Mengen sind - das alles ist schlicht Zeitverschwendung.


Mengenlehre ist völlig unnütz, wenn es darum geht, die Grundlagen der Mathematik zu verstehen und mit ihnen arbeiten zu lernen. Tatsache ist: Mengenlehre kann die Schüler im Gegenteil verwirren, vor allem in dem Bereich, in dem sie angeblich so besonders nützlich ist - beim Lernen der Zahlen. In sehr zugespitzten und fortgeschrittenen mathematischen Theorien spielt Mengenlehre allerdings eine Rolle.“
[Spi74, Nr. 36]


Nachdem die Schüler statt besser in der Mathematik zu werden deutliche Schwächen beim normalen Rechnen hatten, wurde die Mengenlehre aus dem Schulen wieder zurückgepfiffen. Das beweist zweierlei: Erstens, hat die Mengenlehre mit dem normalen Rechnen und dem kleinen Einmaleins nicht viel zu tun und zweitens, brauchen die Durchschnittsschüler bewiesenermaßen enorm viel Übungszeit, um simple Rechentechniken zu beherrschen. Das wurde ihnen dann auch gegönnt, die Mengenlehre wurde aus dem Schulplan genommen, was Eltern und Journalisten beruhigte.


Für Studenten der Mathematik gibt es keine Ausreden oder die Berufung auf vergangene Schulerfahrungen und Vorurteile. Ohne ein gründliches Verständnis der Mengenlehre geht es im Studium nicht.


Zermelo benötigte im § 1 (Grundlegende Definitionen und Axiome) einen Bereich von Objekten („Dingen“), die Mengen bilden können. Gleiche Dinge würde als das bekannte a = b bezeichnet, ungleiche Dinge würden mit dem Schrägstrich durch das Gleichheitszeichen gekennzeichnet, also  [image].


„Der Zermelosche Begriff des Bereichs hat Kritik hervorgerufen. Er ist einfach eine andere Bezeichnung für das was, was wir bisher Mengenuniversum nannten - bei einem gleichzeitigen Verzicht, von einem Mengenuniversum schlechthin zu reden. Bezweifelt man, daß eine Existenzaussage über Mengen (oder mathematische Objekte) irgendetwas mit der Existenz eines Objektes zu tun hat, so wird man diese Kritik sicherlich teilen, und wahrscheinlich einen formalistischen Standpunkt vertreten.“ [Dei02, S. 270]


Nach dieser Aussage ist es also unerheblich, ob Objekte real existieren. Es kommt vielmehr auf die Relationen der Objekte zueinander an. Als „Objekte“ könnte man ein Schluck Wasser aus der Flasche, einen Furz, komplexe Programmcodes, eine Emotion oder eine Krankheit, z. B. Fußpilz bezeichnen. Der Mathematiker, aber auch Normalmensch, hätte dann die dankbare Aufgabe zu entscheiden, ob die Objekte gleich oder ungleich zueinander sind und ob sie ein Teil eines Ganzen sind. Das Denken würde sich hier auf die Grundrelationen beschränken:


Grundrelationen

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a
ist gleich b.

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a ist ungleich b.

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a ist Element von b.


Georg Cantor hatte noch eine Menge explizit als „Zusammenfassung bestimmter wohl unterschiedener Objekte zu einem Ganzen“ definiert. Durch die axiomatische Methode wird diese „naive“ Anschauung jedoch erschüttert und durch ein komplexes System ersetzt, das auf Außenstehende sehr befremdlich wirkt. Man braucht diese „naive“ Mengendefinition in der Tat nicht, denn durch die Gleichheits- und Elemente-Relation wird ja eine Menge vorausgesetzt. Sie braucht in einem minimalitischen Axiomensystem dann nicht mehr extra definiert zu werden. Ein Axiomensystem soll ja von vornherein alles Überflüssige vermeiden. Quasselstrippen haben hier deshalb keine Chance zu Wort zu kommen.


„Auf eine Definition von 'Menge' und 'a ist Element von b' wird bewußt verzichtet. Diese Grundbegriffe werden durch die Axiome lediglich beschrieben.“ [Dei02, S. 271]


Man arbeitet mit diesen Begriffen, definiert sie aber nicht näher. Der gesunde Menschenverstand genügt bei der Festlegung von Axiomen, den nicht näher beweisbaren Grundaussagen der Mathematik.


Abraham Fraenkel schrieb 1928: „Dieser Aufbau der Mengenlehre verläuft nach der sog. axiomatischen Methode, die vom historischen Bestand einer Wissenschaft (hier der Mengenlehre) ausgeht, um durch logische Analyse [...] die Axiome - aufzusuchen und aus ihnen die Wissenschaft deduktiv herzuleiten. Gemäß dem Wesen dieser Methode sehen wir ganz davon ab, den Mengenbegriff zu definieren oder näher zu zergliedern. [...] Durch die Gesamtheit der Axiome wird so der Begriff der Menge gewissermaßen unausgesprochen festgelegt.“ [in: Dei02, S. 271]


Fraenkel gesteht ein, dass es unmöglich ist, zu „entscheiden, was eine Mengen 'an sich' ist, ob z. B. ein Pferd eine Menge darstellt“.

 

Hier wird die Beschränktheit der menschlichen Erkenntnis offenbar. Was die Dinge „an sich“ überhaupt sind, wird man nie erfahren, braucht man in der axiomatischen Mengenlehre auch nicht.

Mengen werden nach bestimmten Spielregeln gebildet, den Zermelo-Fraenkel-Axiomen, abgekürzt ZFC (c wie choice). Hier stelle ich das vereinfachte ZF-System vor.

 

Vereinfachtes ZF-System

 

1. Existenz-Axiom (Ex)

2. Extensionalitätsaxiom (Ext)

3. Potenzmengenaxiom (Pot)

4. Unendlichkeitsaxiom (Inf)

5. Fundierungsaxiom (Fun)

6. Ersetzungsaxiom (Ers)

 

Die Mengenlehre ist ein feines Gebiet, in dem man eigentlich gar nicht rechnen braucht. Es werden ja nur Elemente zu Mengen zusammengefasst, zusammengeworfen, getrennt, ausgeschlossen. Dann kann man noch die Elemente einander zuordnen oder auch nicht, also mancherlei Sinn und Unsinn betreiben, wie man gerade lustig ist :-)


Es gab mal einen Versuch im vorigen Jahrhundert, die Mengenlehre auch in der Schule zu lehren, doch die meisten Schüler und Eltern erwarteten etwas, womit sie rechnen können. Das waren die Eltern von ihrer Schulzeit her gewöhnt, und das sollte auch so bleiben.

 

Die Mengen sind die Grundlagen der Mathematik. Aus ihnen entstehen die Zahlen. Ihr habt bestimmt schon gehört: „Ich habe eine Menge gehört.“ Oder „Das macht 'ne Menge Arbeit.“ Das ist aber nicht mit den Mengen in der Mathematik gemeint. Mein Sohn Marcel war da anderer Meinung, wie man hier sieht:


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(Bild: privat)

 

Über die Mengen hat ein kluger Kopf nachgedacht. Der hieß Georg Cantor (1845-1918) und war ein bedeutender jüdischer Mathematiker. Das ist der Herr im Bild. Er lebte vor 150 Jahren.


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Georg Cantor (1845 – 1918) (Quelle: Materialscientist)

 

Der Mengenbegriff gehört zu den Grundlagen der Mathematik. Er ist von elementarer Natur. Der Pionier der modernen Mengenlehre war Georg Cantor.


„Georg Cantor wurde am 3.3.1845 in Sankt Petersburg als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmannes geboren und starb am 6.1.1918 in Halle an der Saale […] Nachdem er die Reifeprüfung [...] mit Auszeichnung bestanden hatte, studierte er 1862-1867, doch mit väterlicher Erlaubnis, in Zürich, Göttingen und Berlin Mathematik. Nach seiner Promotion (1867 in Berlin) lehrte Cantor bis zu seiner Emeritierung 1913 [...] in Halle Mathematik. Er gründete 1890 die Deutsche Mathematikervereinigung.“ [Ler08]

 

Als „normal” denkender Menschen, wozu auch der Mathematiker gehört, gehen wir davon aus, dass es Mengen gibt, was just zu der fundamentalen Einsicht und dem ersten Axiom der Mengentheorie führt.

 

 

[image]Objekt:

Eine Entität mit einer bestimmten Eigenschaft oder mehreren Eigenschaften heißt Objekt.

 

Den Begriff „Entität” habt ihr sicherlich nicht allzu häufig gehört, deshalb hier eine Erklärung dazu.

 

Entität bedeutet „etwas Seiendes”. Das ist ein lateinisches Wort, mit dem man ungeheuer angeben kann, weil es niemand versteht. Als abstrakter Begriff ist es brauchbar zur Beschreibung von Objekten. Meist versteht man unter „Objekt” nur physische Objekte, spätestens dann, wenn einem eine „fliegende Untertasse” begegnet, ein UFO (Unidentified Flying Object = unbekanntes fliegendes Objekt).

 

Man kann sich jedoch alles Mögliche unter einem mathematischen Objekt darunter vorstellen, nicht nur Zahlen, sondern auch z. B. Möbelstücke, Automarken, Früchte, Buchstaben, Wörter, Fotos, Geldscheine. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Die Objekte brauchen nicht unbedingt materiell zu sein. Man könnte auch moralische Werte oder Ansichten als Objekt bezeichnen. In der Mathematik wird man sich hauptsächlich mit Zahlenobjekten beschäftigen. Geometrische Figuren zählen auch zu diesen Objekten. Der Begriff Entität ist also sehr weit gefasst.

 

[image]Menge:

Eine Menge M ist eine Zusammenfassung von bestimmten eindeutig unterscheidbaren Objekten, die Elemente e genannt werden.

 

Schon bei der Mengenlehre wollen die Mathematiker "klare Verhältnisse" schaffen. In einer Menge müssen die Objekte gut unterscheidbar sein, sonst kann man mit ihnen nichts anfangen. "Wischiwaschi-Begriffe" haben in der Mathematik nichts verloren.  Man wird sie dort nicht antreffen. Was für Objekte das nun sind, ist völlig egal. Wenn man die Objekte klar und eindeutig identifizieren kann, erhalten sie den neuen Namen Element.

 

Bei der Mengenbildung braucht erst mal gar nicht zu rechnen, sondern man fasst nur zusammen. Man kann beliebige Dinge zu einer Menge zusammenfassen.


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Das alles sind Mengen

 

Was sich in einer Menge befindet, nennt man Element. Dieser Begriff ist ganz wichtig. Damit man mit den Elementen einfach hantieren kann, erhalten sie bestimmte Namen. Das sind meistens Abkürzungen von Wörtern.

 

Man kann die Dinge, Buchstaben oder Zahlen in den Mengen zusammenzählen. Das nennt man dann die Mächtigkeit der Menge. Es ist nichts Anderes als die Anzahl der einzelnen Elemente (Dinge, Buchstaben, Zahlen oder sonst irgendetwas, was sich in der Menge befindet).

 

Aus der Mächtigkeit von Mengen ergeben sich die Zahlen. Die Zahlen haben aber zusätzlich noch bestimmte Eigenschaften. Die Mengenlehre ist also die Grundlage der Mathematik. Sie liefert die Zahlen.

 

Nun kommt es darauf an, ob diese Elemente untereinander gleich oder verschieden sind. In der Mengenlehre sind nur die verschiedenen Elemente von Belang. Wirklich gleiche Elemente werden nur als ein Element angesehen, unabhängig von ihrer Anzahl in der Menge. Gleiche Elemente, und wenn sie millionenfach vorhanden sind, gelten also nur als ein einziges Element.


Hinzu kommt, dass es völlig egal ist, an welcher Stelle ein Element in der Menge {...} auftaucht, ob vorn, in der Mitte oder hinten. Das ist völlig belanglos. Die Reihenfolge der Elemente spielt also keine Rolle. Die Menge an sich bleibt immer die gleiche Menge, wenn man ihre Elemente vertauscht.

Beispiel

 

{a, b, c} = {a, c, b} = {c, b, a}


Fasse ich zusammen: Der Begriff Element wird nur im Zusammenhang mit einer Menge gebraucht. Von Objekten spricht man immer nur ganz allgemein. Werden diese (gut unterscheidbaren) Objekte irgendwie zu einer Menge zusammengefasst, dann heißen sie Elemente.

 

Jetzt habt ihr einen Einblick erhalten, dass man beliebige Dinge mit einem Buchstaben abkürzen kann. Und dass man sie zu Mengen zusammenfassen kann.

 

Ein politisches Beispiel:


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Arbeiter
(Quelle: www.openclipart.org)


Kommunistischer Schlachtruf: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"


"Proletarier" = Menge der Arbeiter A

 

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Das kürzt man gewöhnlich ab. Nun schreibe ich statt des langen Worts „Proletarier“ kurz und knapp „P“.

 

"alle Länder" = Menge der Länder L

 

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Ein Beispiel aus der Mathematik:


Die Menge der natürlichen Zahlen wird mit dem Formelzeichen [image]abgekürzt. Die Zahl Null kann man ruhig in die Menge der natürlichen Zahlen einordnen. Sie entspricht der leeren Menge, die ja auch „natürlich“ ist. Nach der DIN-Norm 5473 wird das auch so gesehen. Deshalb werde ich in meinem Buch die Zahl 0 immer als natürliche Zahl ansehen.

 

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Viele Mathematiker schließen die Null aus den natürlichen Zahlen aus. Deshalb gibt es bei der Benutzung des Zeichens [image] gewisse Unklarheiten, ob die Null drin ist oder nicht. Wer ganz sicher sein will, der benutzt [image]. Hier ist die Null wirklich drin.

 

Nach so viel theoretischer Vorrede nun ein anschauliches Beispiel aus der Biologie:

Ich habe einige bekannte afrikanische Tiere herausgesucht und sie zu einer Menge zusammengefasst. Diese Menge nenne ich einfach S (mit einem großen Buchstaben). Dieser Buchstabe ist die Abkürzung für Säugetier. Mathematiker lieben eben Abkürzungen.

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Die Menge dieser Säugetiere besteht aus k (Kuh), n (Nilpferd), g (Giraffe), p (Pavian), l (Löwe). Das schreibt man in der Mathematik so:

 

S = {k, n, g, p, l }

 

(sprich: S besteht aus k, n, g, p, l.  Die Kuh, das Nilpferd, die Giraffe, der Pavian, der Löwe bilden die Menge S der Säugetiere.)


Die Elemente werden innerhalb der geschweiften Klammern aufgelistet. Sie werden meistens mit kleinen Buchstaben geschrieben. Zur besseren Unterscheidung von Mengen habe ich sie zusätzlich blau eingefärbt.

Der Name der Menge wird allgemein mit einem großen Buchstaben geschrieben. Zur Abgrenzung von den Elementen habe ich sie zusätzlich fett gemacht. Das erhöht die Lesbarkeit. Welchen Buchstaben für die Mengen man nimmt, ist "Geschmackssache". Er sollte Bezug zum Mengeninhalt haben. Deshalb habe ich das große S (Säugetier) gewählt.


Meistens wird für die Benennung einer Menge der große Buchstabe M als Abkürzung von Menge benutzt. Innerhalb der Mengenklammer kann man die Elemente alphabetisch sortieren:

 

S = {g, klnp }


Dadurch hat sich an sich nichts geändert. Der Mengeninhalt ist gleich geblieben. Er ist aber besser überschaubar.

Doppelte oder mehrfache gleiche Elemente gelten nur als ein Element. Das ist anders als im täglichen Leben. Wenn ihr sechs Eier der Handelsklasse M in der Box kauft, habt ihr zwar sechs Objekte gekauft, doch sie gelten als Elemente betrachtet nur als ein einziges Element, eben weil sie gleich sind.

 

An der Kasse eines Supermarktes könnt ihr aber nicht die Kassiererin davon überzeugen, dass ihr nur 1 Element Eier gekauft habt und deshalb nur für 1 Ei bezahlen wollt.


Nun habe ich noch ein paar Elemente (Giraffen, Kühe und Paviane) zu den Säugetieren hinzugefügt.

 

S = {g, g, k, k, klnppp }


Hat sich die Menge verändert? Jetzt muss ich euch enttäuschen. Das macht die Menge keinesfalls größer. Es bleibt bei den schon bekannten fünf Elementen. Und wenn es eine Million Kühe mehr wären! Die Kuh in dieser Menge wird nur als ein Element betrachtet.

Fazit: Besser ist es in jedem Falle, solche Dopplungen oder Vervielfachungen von gleichen Elementen zu vermeiden, sonst leidet darunter die Lesbarkeit.

 

Wenn ein Element zu einer Menge gehört, nimmt man das Kurzzeichen[image]. Es ist der Anfangsbuchstabe E des Begriffs "Element", nur runder geschrieben. Dieser Buchstabe erinnert an den griechischen Buchstaben Epsilon [image]. Ich denke dabei oft an eine Gabel oder Forke, mit der ich ein Element „aufspieße“.

 

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sprich: „k ist Element von S, die Kuh gehört zur Menge der Säugetiere.”

Nur für Sprechfaule: „k ist Element von S”

 

Letztere Sprachweise erspart tatsächlich Zeit, aber sie macht nicht klar, worum es geht. Lieber sich Zeit nehmen und sich mehr Informationen gönnen als sich in einem verbalen Abkürzungsdschungel zu verlaufen und vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Wer jedoch als Professor von unwissenden Studenten gehetzt an der Tafel steht und die Vorlesung herunter „beten” muss, dem sei verziehen.


Nun zeige ich euch, dass es auch Elemente gibt, die nicht zu einer bestimmten Menge gehören.


Quizfrage:

Gehört der Strauß s zur Menge der Säugetiere {Kuh, Nilpferd, Giraffe, Pavian, Löwe}?  

 

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Ist also [image] ?

 

Das kann man ruhigen Gewissens verneinen. So ein großes Federvieh legt doch Eier und säugt nicht seine Jungen. Vielmehr bildet der Strauß eine eigene Menge V (Abkürzung von Vogel). Da der Strauß s bekanntlich kein Säugetier ist, gehört er nicht zur Menge der Säugetiere S. Das schreibt man mathematisch so:

 

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sprich: „s ist kein Element von S, der Strauß ist kein Element der Säugetiere, der Strauß gehört nicht zu den Säugetieren.”


Der Schrägstrich macht das Element-Zeichen [image] zu einem Nicht-Element-Zeichen [image], eine sehr sinnige Schreibweise. Das ist wie in einer Mathearbeit. Man streicht das schräg durch, was nicht mehr gelten soll.


Dieses Beispiel demonstriert, dass sowohl das Element s als auch die Menge S den gleichen Buchstaben haben, dennoch etwas völlig Verschiedenes bedeuten. Man schreibt oft die Elemente mit Kleinbuchstaben und die Menge mit Großbuchstaben. Das ist ein "Tribut" an den Leser, damit er schneller zwischen den beiden Entitäten („das Seiende, Wesen“ = „mathematischen Gegebenheiten“) unterscheiden kann.


Jetzt schreibe ich auf, wo der Vogel Strauß hingehört:

 

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sprich:s ist Element von V. Der Strauß s gehört zur Menge der Vögel V.”

 

Historisches:

 

„‚Aus dem Paradies [die Mengenlehre], das Cantor uns geschaffen hat, soll uns niemand mehr vertreiben können.‚ David Hilbert (1862 – 1943) [Schi09, S. 120]

 

Georg Cantor definierte damals die Menge so:

 

„Unter einer ‚Menge‚ verstehen wird jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die ‚Elemente‚ von M genannt werden) zu einem Ganzen.“ [Dei02, S. 13]

 

 

[image]Wohldefiniert:

Wenn etwas eindeutig unterscheidbar ist, heißt es wohldefiniert.

 

Der Begriff „wohldefiniert” ist sehr wichtig in der Mengenlehre. Damit haben sich schon Generationen von Philosophen beschäftigt. Er ist mit dem lateinischen Begriff „Extension” verbunden, der schrecklich klingt, aber wörtlich „Begriffsumfang” bedeuten soll.

 

Es geht um die Frage, was alles einem bestimmten Begriff zugeordnet werden kann, was man noch als dazu gehörig zählt und was nicht mehr. Dies ist manchmal gar nicht so leicht zu entscheiden. Im täglichen Leben gibt es da manche Schwierigkeiten. In der Mathematik kann man oft schneller entscheiden. An einem kleinen Beispiel wird Euch das bestimmt klar.

 

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Sind diese Objekte verschieden? Offensichtlich ja, denn sie haben jeweils eine andere Gestalt. Oder irren wir uns? Nun kommt die große Überraschung. Der Mathematiker sagt, diese Objekte sind alle gleich, denn ihre Extension, ihr Begriffsumfang, ist gleich. Das können sie auch einfach beweisen. Kürzt man die obigen Brüche, dann sind die Objekte untereinander gleich. Deshalb sind sie nicht eindeutig unterscheidbar. Mit anderen Worten, sie sind nicht wohl definiert.

 

In dieser Definition fallen die Begriffe „wohlunterschieden”, Objekte, Elemente, das Ganze. Worin der Unterschied zwischen „Objekt” und „Element” besteht, wissen wir schon. Den Begriff „wohlunterschieden” würde man heute als „präzise unterscheidbar” ausdrücken. Unklarheiten sind dadurch strikt ausgeschlossen. Entweder das Objekt gehört zur Menge oder nicht. Ein „Könnte-Sein” ist verboten. Mit dem Wort „das Ganze” erschließt sich die Sichtweise, dass alle Objekte zusammen wieder ein neues Objekt, auch Menge genannt, bilden.

 

Merkt euch: Das Wort „wohlunterschieden” ist äußerst wichtig.