Liebeszauber aus dem Arthavaveda

Der Unterschied zwischen dem Lernen von Fremdsprachen in der Schule und in der Universität ist das Alter, nicht der betreffenden Sprache, sondern des Lerners. Jugendliche vermögen Texte zu übersetzen, ob sie diese in einen sozioökonomischen und historischen Kontext einordnen können, der über ihre derzeitigen Erkenntnisstand hinausgeht, bezweifele ich.

Jedenfalls ist mir dieser Gedanke bei der Reflexion über einen alten vedischen Textes gekommen, den wir Studenten der Indogermanistik gemeinsam online übersetzt hatten. Es handelte sich um einen Liebeszauber aus dem Arthavaveda, der von einem liebenskranken Mann beim Brahmanen für den Gegenwert einer Kuh bestellt werden konnte, ganz schön teuer für eine Voodoo-Puppe mit Nadeln im Herzen. Sie wurde tatsächlich für diesen Zweck hergestellt.

Wenn man sich mühsam Wort für Wort durch den Text quält, denkt man intensiver über den Inhalt nach als in einer deutschen Übersetzung, die den Filter des jeweiligen Übersetzers trägt. Bei unpräzisen Wörtern muss der Übersetzer immer eine Auswahl treffen. Gerade in solchen Dichtungen wimmelt es von unpräzisen Wörtern, gut für Fühler und Schwärmer geeignet, was bei mir aber nicht gerade beliebt ist.

In dem Liebeszauber geht es darum, die Herzensdame durch ein magisches Ritual zu bezwingen, so dass sie willenlos würde und auf den Liebestollen zukriechen würde. Das benutzte Verb dafür kommt auch in dem Wort für Schlange vor. Nicht nur das, auch ihre Eltern sollten gleich mit manipuliert werden und ihre Zustimmung zur Heirat geben. Dieses Bild von magischen K.O.-Tropfen hat mich abgestoßen. Wie wäre es, die Herzensdame mal anzusprechen und ihre Zuneigung durch eigenes liebevolles Tun zu erreichen?

Soziologisch betrachtet zeigt diese poetische Darstellung die patriarchalische Struktur der indischen Gesellschaft. Das ist bis heute so geblieben. Die alten Götter sind noch da und auch die Brahmanen rezitieren noch die gleichen vedischen Texte. Eine solche Religion ist ein wahres Opium für Männer, die Frauen unterdrücken wollen, ob subtil oder offen. Hier können sie ihre Phantasien ausleben, die von den jeweiligen religiösen Autoritäten legitimiert werden.

Ob es sich überhaupt lohnt, solche Texte in die Latina Nova zu übersetzen, ist fraglich, und wenn, dann nur mit einem dicken Warnhinweis, wie bei so vielen anderen alten religiösen Texte aus anderen Kulturen.

In der sozialistischen Gesellschaftsordnung würde die Gleichstellung der Geschlechter durch entsprechende strukturelle Maßnahmen verwirklicht. Hier zählen die Kompetenz und die Leistung, anders als in der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer absurden sprachliche Codierung, dem Gendern, und den Geschlechterquoten, die nichts taugen. Symbolische Handlungen sind diesem Gesellschaftstyp vorbehalten. Reale Änderungen werden nur möglich sein, wenn die Frau ihren Lebensunterhalt selber erbringt und finanziell auf eigenen Beinen steht.

Diese Maxime steht im krassen Widerspruch zu den abrahamitischen Religionen, die vom Kern her männerzentriert sind und der Frau den Job als Hausfrau und Mutter zuweisen. Im Christentum hat es in dieser Hinsicht schon Neuerungen gegeben, in der Religion des Mohammed von Mekka jedoch nicht, auch nicht bei den meisten religiösen Juden.

Auch Religionen bestehen nicht ewig. Ihr Untergang tritt ein, u.a. wenn die weiblichen Mitglieder rebellieren, was auch ohne große Diskussion oder Rechtfertigung vor sich gehen kann, indem die Frau ihre traditionelle Rolle nicht mehr annimmt und auf die Heirat mit einem konservativen Mann verzichtet. Sie braucht keinen Versorger und kann ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit selber finanzieren. In der sozialistischen Gesellschaft würde die Frau tatkräftig gefördert, so dass das Märchen vom Aschenputtel, das auf einen vermögenden Mann hofft, ein Märchen bleibt.

Wer hätte gedacht, welche gesellschaftliche Dimensionen ein alter indischer Liebeszauber annehmen kann? Sich mit alten Sprachen zu beschäftigen ist also keine Zeitverschwendung.

So sieht die Übersetzung eines vedischen Textes aus.

Unser Seminar für Altindisch II, dem Vedischen, einer indoeuropäischen Vorgängersprache des Sanskrit, das im 4. Jht. v. Chr. von Panini schriftlich fixiert wurde, geht zuende. Professor Hill ist ein Meister seines Fachs und ein guter Erklärer.

Das Vedische ist eine für Anfänger sehr schwer verständliche Sprache. Wir brauchen für zwei Verse aus dem Arthavaveda eine ganze Sitzung. Die einzelnen Wörter aus den langen Wörtern zu isolieren ist ein Hochseilakt. Die Devanagari-Schrift ist nicht hilfreich. Durch die arg willkürlichen Zusammenschreibungen und Trennungen werden falsche Hinweise für die Übersetzung gebracht.

Es geht in dem Text um den Liebeszauber, den ein bestellter Brahmane mittels einer Puppe auf die begehrte Frau hinüberschießen soll mit glühenden Liebespfeilen. Damit diese Pfeile auch bei ihr ankommen, steht das betreffende Organ, das Herz, im Lokativ, einer der acht Fälle des Vedisch. Wenn man die Übersetzung kennt, ergibt sich der Sinn der Verse. Irgendwie habe ich den Eindruck gewonnen, je unverständlicher religiöse Texte sind, umso mehr Zauberkraft bei den Gläubigen haben sie. Doch was nützen sie für unsere heutige Zeit?

In Indien ist zur Zeit eine nostalgische Vergangenheitsbetrachtung hereingebrochen. Mit gläubiger Inbrunst werden alte vedische Texte überinterpretiert und über die modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gestellt. Das ist natürlich Quatsch. Ohne die zahllosen Experimente und den unendlichen Fleiß der beteiligten Wissenschaftler auf der Welt hätten wir nicht die modernen Erkenntnisse und vor allem die technologischen Fortschritte, die darauf beruhen. Was ich dazu sagen kann, sich stundenlang mit alter Grammatik zu beschäftigen, um ein paar dürre Sätze zu verstehen, bedeutet keinen Fortschritt für die Menschheit. Auch die mystische Verklärung der „Arier“ ist Humbug. Sie waren nur brutal genug, anderen Stämmen ihre Kultur und Sprache aufzuzwingen. Ihre Sprache charakterisiert sich nur durch eine flektierende Mischung verschiedener Sprachtypologien. Es gibt Sprachen, die eine durchdachtere Grammatik haben und leichter zu lernen sind.

Was wirklich für unsere heutige Zeit wichtig ist, sind die Naturwissenschaften. Die Sprache ist dabei ein notwendiges Hilfsmittel. Zaubersprüche und alte Texte aus der Bronzezeit helfen nicht wirklich weiter.

In einer zukünftigen plebejischen Gesellschaftsordnung ist das Bildungssystem ein entscheidender Faktor für die Volksbildung und die materielle Ausgestaltung. Dazu gehe ich in die europäische Antike und zwar zu den Römern zurück, die den Begriff der „septem artes liberales“ (Sieben freie Künste) geprägt haben. Damit waren die Lerninhalte gemeint, die ein freier Mann erlernen sollte. Ihnen waren die praktischen Künste gegenübergestellt, was man mit Handwerksberufen wiedergeben könnte.

„Man unterschied bei den freien Künsten das Trivium (Dreiweg) der sprachlich und logisch-argumentativ ausgerichteten Fächer, die die Voraussetzung für jede Beschäftigung mit der (lateinischen) Wissenschaft bilden, und das weiterführende Quadrivium (Vierweg) der mathematischen Fächer.“ (Quelle: Wikipedia)

Ihr könnt in Wikipedia lesen, wie die damaligen Studienfächer ausgeprägt waren. Für die moderne Zeit stelle ich mir eine renovierte Fassung vor.

Zum Trivium gehören:

Sprache (Literatur, Grammatik, Rhetorik)

Logik

Jurisprudenz

Zum Quadrivium gehören:

Mathematik (Arithmetik, Geometrie, Calculus)

Musik

Physik

Ökonomie

Das wäre der Hauptkanon der Studienfächer in den Schulen, ausgestaltet und gestaffelt je nach Schulabschluss. Die Schüler würden von Jahr zu Jahr auf dem bestehenden Wissen aufbauen und es verbreitern. Er ist die Grundlage für ein Fachschulstudium, in dem das erworbene Wissen zunächst vertieft würde und dann erst das eigentliche Studium des gewünschten Fachs begänne. So wird dem „Fachidiotentum“ der Gegenwart entgegengewirkt. Die künftigen Studenten hätten ein breites Allgemeinwissen auf gehobenen Niveau.

Die sozialistischen Fachschulen werden sich doch erheblich von der jetzigen bürgerlichen unterscheiden und eine echte Bildungselite hervorbringen, auf die die Plebejer stolz sein können. Die künftigen Studenten werden auch mathematische Fertigkeiten mitbringen, was aber nicht reines Rechnen bedeutet, sondern Schulung in bestimmten Strukturen zu denken, also ziemlich das Gegenteil davon, was man von der Schule her kennt. Diese Art zu denken ist sehr hilfreich auch in anderen Fächern. Den Erwerb von Fremdsprachen ordne ich dem Bereich der „artes mechanicae“ (praktische Künste) zu. Sprache ist nur Kommunikationsmittel, aber kein Selbstzweck.

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