Wie kann aus einer ursprünglichen Intention etwas ganz anderes werden? Oder anders ausgedrückt, wie konnte aus dem sperrigen Begriff Semantography ein Segen für Kinder mit Sprachbehinderung unter dem neuen Namen Blissymbols werden?
Die Vorgeschichte liegt in der damaligen österreichischen k.u.k.-Monarchie begründet, wo ein Jude mit dem Namen Karl Blitz geboren wurde. Sein Schicksal führte ihn in die verschiedensten Länder, auch ins Konzentrationslager, dem er noch auf Betreiben seiner nichtjüdischen Frau entkommen konnte. Er war nun immer auf der Flucht. In England musste er seinen Namen Blitz in Bliss ändern, da man keinen Blitzkrieg („Blitz“) in Person haben wollte.
In Shanghai beschäftigte er sich mit den chinesischen Schriftzeichen, die ihn zu einer eigenen Schrift inspirierten, einer Weltschrift. Sie sollte unabhängig von den jeweiligen natürlichen Sprachen einsetzbar sein. Unermüdlich arbeitete er an seiner Weltschrift, was mich auch an meine eigene plansprachliche Beschäftigung erinnert. Sein Werk blieb erfolglos, obwohl er zigtausende Werbebriefe verschickt hatte. Dennoch ließ er sich nicht nicht entmutigen. Er sprühte voll Energie, wie ihr bei YouTube nachschauen könnt.
Eine gute Nachricht kam im Alter von einer kanadischen Behinderteneinrichtung, die gerne seine Schrift für die sprachbehinderten Kinder einsetzen wollte, damit sie überhaupt untereinander und mit den Betreuern kommunizieren konnten. Sie konnten ja denken, nur eben nicht klar sprechen. Charles Bliss erteilte ihnen die Lizenz, ein wahrer Segen für die Schwächsten der Gesellschaft. Endlich konnten sie ihre Gedanken mit den Zeichensymbolen ausdrücken.
Diese Schrift baut auf einfachen Strichen und Bögen auf. Einiges ist sofort erkennbar, anderes muss man lernen. Besonders interessant finde ich die Darstellung von abstrakten Begriffen. Das funktioniert besser als in den chinesischen Zeichen, die nur teilweise piktografisch aufgebaut ist. Die meisten Zeichen bestehen jedoch aus einem Begriffselement und einem überlieferten phonetischen Element, das aber nicht unbedingt die heutige chinesische Aussprache wiedergibt.
Ich hatte auch vor vierzig Jahren an einer neuen Symbolschrift gearbeitet, doch Charles Bliss‘ Schrift ist einfach besser. Mit einer Symbolschrift könnten die abstrakten Begriffe in meiner Plansprache Latina Nova näher definiert werden, was mit dem Lautgefüge gemeint ist. Statt der originalen Blissymbole würde ich die chinesischen Zeichen benutzen, die mitunter neu zusammengesetzt würden. Sie sehen sehr ästhetisch aus, und man sieht nach einer Gewöhnungszeit, welche Bedeutung die Piktogramme haben. Man kann sie auch mit der linken Hand schreiben, so wie ich das zur Zeit mache, haha.
Eine Symbolschrift ist immer schwerer zu lernen als die wenigen Buchstaben des lateinischen Alphabets. Besonders interessant könnte sie für China oder Japan sein, wo es eine Symbolschrift bereits gibt. Wie ich das jetzt schon in den Anfängen ersehen kann, könnte eine sinisierte Blissymbolschrift die bisherigen Hanzi (Kanji) ersetzen und zu einer echten Erleichterung beim Schreiben führen. Das ist natürlich heute ein utopischer Gedanke.
Ein so traditionsbewusstes Volk wie die Chinesen würde lieber an einem schwerfälligen und äußerst zeitraubenden Schriftsystem kleben bleiben, das ein Bremsklotz für die weitere technologische Entwicklung in China sein wird. Wie viele neue und lange Zeichenkombinationen müssen die Chinesen in fünfhundert Jahren lernen? Irgendwann stößt dieses Schriftsystem an seine Grenzen. Schon heute müssen chinesische Schüler viel mehr Zeit mit der Schrift selber als mit dem vermittelten Inhalt verbringen. Schaut euch mal das chemische Periodensystem im Chinesischen an, nur Zeichen, keine leicht nachzuvollziehende Abkürzungen aus zwei Buchstaben.
Mit den Blissymbolen werde ich mich noch tiefer beschäftigen. Sie bringen so einige Aha-Effekte.