Vor dem Online-Seminar möchte ich ein Paar Worte über die wissenschaftliche Darstellung von Informationen verlieren. Man kann die gleichen Informationen auf verschiedene Weisen präsentieren. Gerade in der Linguistik tendieren die Autoren zu einer lateinisch-griechischen Mischsprache mit komplexen Sätzen und einer enormen Häufung von Fachbegriffen. Dass dies nicht unbedingt sein.
Das beweist Frederick Bodmer in seinem informativen Werk „Die Sprachen der Welt“, aus dem ich viele Anregungen für meine Plansprache Latina Nova erhalten habe. Es ist für interessierte Laien verständlich geschrieben.
Das Büchlein von Harald Haarmann „Grundzüge der Sprachtypologie“ von 1976 erscheint mir wie eine komprimierte Fassung des Linguistikstudiums. Ich habe es mehrmals durchlesen müssen und stoße immer noch auf Informationen, die mir entgangen waren.
Ich habe mich gefragt, ob es in meiner Sprache Latina Nova leichter verständlich wäre. Die Antwort lautet, ohne eine stilistische Umarbeitung wäre es dennoch schwer verständlich für Leser, die keinen linguistischen Hintergrund haben. Es reicht also nicht aus, eine Eins-Zu-Eins-Übertragung zu machen. Die Art der Informationsvermittlung müsste auch angepasst werden. Das fängt formal bei der Anzahl der Wörter im Satz und der Verschachtelung mit Nebensätzen an und pflanzt sich fort mit der Attributbildung und der Nominalisierung von Verben.
Was am meisten stört, ist der ungeheure Komprimierungsgrad der Informationsvermittlung. Dieser könnte durch einen umgangssprachlichen Stil und mehr erzählerische Stilelemente aufgebrochen werden.
Hat darüber jemals ein Sprachplanler nachgedacht? Es wäre doch möglich, sprachliche Formalien zu entwickeln, die für Fachbücher angewandt werden können, um dem Leser ein Vergnügen zu bereiten und Informationen präzise und verständlich zu vermitteln. In einer sozialistischen Gesellschaftsordnung erwarte ich ein didaktisch und stilistisch aufbereitetes Lernmaterial. Daran werde ich arbeiten.
Ich führe euch mal vor, wie ich mir die zukünftigen Erzählungen in Afria vorstelle. Für dieses Beispiel habe ich mir eine schwierig formulierte Erzählung von Heinrich von Kleist „Michael Kohlhaas“ herausgesucht.
Hier zitiere ich das Original:
„An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. – Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.“
Nun folgt meine Adaption:
„Diese Geschichte ereignete sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Am Ufer der Havel lebte ein Pferdehändler. Er hieß Michael Kohlhaas und war der Sohn eines Lehrers. Er war ein bescheidener Mann, wie man es von ihm erwartete. Nach seinem 30. Lebensjahr wurde er allen bekannt. Man bewunderte ihn und fürchtete sich vor ihm. Eine solchen rebellischen Mann hatte man bis dahin nicht erlebt.
Das Dorf, in dem er lebte, führte bis heute seinen Namen. Einen Meierhof besaß er. Sein Gewerbe ernährte ihn und seine Familie mit Frau und Kindern. Zudem war er freigiebig und gerecht. Seine Nachbarn lobten ihn. Sie erhielten viele Wohltaten von ihm.
Sein Andenken hätte ihn überdauert. Er hatte ja so gelebt, wie man es von ihm erwartet hatte. Das war tugendhaft und rechtschaffen. Doch es wurde anders. Denn er wurde zum Rebellen. Er war von vielen gefürchtet. Man nannte ihn dann Räuber und Mörder. Und aus war es mit seinem Ruf.“
Na, welchen Text könnt ihr besser lesen?
Es ist recht angenehm, ein Autorenprogramm zu haben, das den Stil und die Lesbarkeit prüft und mit verschiedenen Mitteln kennzeichnet. Mein Text hat eine tiefgrüne Farbe, die ich so definiert hatte, wenn die größte Lesbarkeit erreicht wird.
Nur die Sätze musste ich selber formulieren. Das nimmt mir das Programm nicht ab. Wie schade. Ein bisschen Denken sollte man auch noch können.
Im Gymnasium mussten wir diesen Text lesen. Ich fand die langen Sätze von Kleist schrecklich. Auch die veralteten Wörter erheiterten mich nicht. So hatten wir Schüler nicht im Alltag gesprochen. Das war die Sprache des Großbürgertums.
Mit der Latina Nova werden die einfachen Leute in die Lage versetzt, auch die Literatur zu lesen, die ihnen unbekannt war, eben wegen der sprachlichen Hürden. Nur in entsprechenden Adaptionen werden die alten Stücke in die latinische Literatursammlung übernommen. Sie haben ja einen Wert, der über den bürgerlichen Literaturhorizont von heute mit der vielen Kaufhausliteratur und den Filmen hinausreicht.
Heinrich von Kleist ist ein Alptraum. Um nur ein paar Abschnitte in eine einfachere Sprache umzusetzen, habe ich einen Vormittag verbracht. Ich kann euch an einem kurzen Beispiel zeigen, wie das Autorenprogramm Papyrus 11 den Schreibstil und die Lesbarkeit analysiert. Kleist schafft es auf ein tiefrot, was den Lesbarkeitkeitsindex 11 von 100 zeigt, also sehr gering. Immerhin hat er 70 Wörter in einen Satz gepfropft. Ich musste den Satz mehrmals lesen, um ihn zu verstehen.
So kann ein Schriftsteller (un)geschickt verhindern, dass seine Erzählung vom Rebellen Michael Kohlhaas nur wenigen Gebildeten geläufig ist. Dabei wirft Kleist eine brisante Thematik auf, wie sich Bürger verhalten könnten, die von der Obrigkeit getäuscht und betrogen werden. Das geht über den heutigen bürgerlichen Geschmack von seichten Liebesschnulzen, Arztromanen, Krimis, Western, Sciencefiction oder Action in der Kaufhausliteratur oder Filmen hinaus.
In Afria werden die Einwohner mit anderen Themen bekannt gemacht, die von Schriftstellern mit Bildungsniveau vermittelt werden. Das ermöglicht meine Sprache Afrolinga. Mit ihr wird es eine Kulturrevolution geben. Vorwärts immer, rückwärts nimmer.
Ich werde natürlich Kleists Erzählung noch in die Latina Nova übertragen.