Mein Vater in 1949
Wollt ihr mal sehen, wie früher nach dem Zweiten Weltkrieg die Busse aussahen. Mein Vater hat diese gelben Wagen selber gefahren. Er kannte sich damit gut aus.
Irgendwie hatten diese alten Omnibusse noch einen gewissen „Charakter“, nicht so stromlinienförmig und nicht so designed wie aus einem Science-Fiction-Film. Je mehr sich die moderne Zeit eckenlos, geglättet und gesoftet präsentiert, um so mehr verliert sie den Charme des Ursprünglichen, der Robustheit, auch der Unvollkommenheit.
In einer solchen historischen Phase werden ebensolche Individuen geprägt, die Krisen nicht überstehen können und alles „falsch“ machen, was sich hier anbietet. Das flauschige Himmelbett einer verakademisierten Jugend wird sie nicht davor bewahren, harte Zeiten zu erleben und zu kosten, was die alten Leute noch durchmachen mussten.
Mein Vater erzählt über seine berufliche Zeit als Busfahrer.
Diesen Bus hat mein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg Krieg jahrelang gefahren. Dafür musste er schon sehr früh aus dem Bett aufstehen. Die Leute waren auf seine pünktlichen Fahrten abgewiesen. Einen solchen extensiven Autoverkehr wie heute gab es damals nicht. Dementsprechend waren die Busse proppenvoll. Die Lenkung ging schwer. Eine Servolenkung gab es nicht. In steilen Kurven stand mein Vater am Lenkrad auf, um es herumzureißen. Man brauchte also einiges an Muskelkraft.
Die körperliche Arbeit hat massiv in der bürgerlichen Gesellschaft abgenommen und wird immer mehr ersetzt und gleichzeitig auch die Menschen, die dahinstehen. In der Sprache der Ökonomen ist das die fortschreitende Substitution des Humankapitals. Ein Naturgesetz ist das natürlich nicht. Ich habe den Eindruck, dass die Absolventen der Universitäten zunehmend an „Verblödung“ leiden und nicht mehr holistisch denken können. Sie plappern die Ansichten ihrer Professoren nach, kriegen dadurch gute Noten, sind aber betriebsblind.
Im Alter sieht man vieles anders als in der Jugendzeit, weil einem die Lebenserfahrung und nötige Reife, die Fähigkeit fehlte, in größeren Dimensionen zu denken. Nunmehr im höheren Alter fallen mir immer mehr Zusammenhänge auf und ich sage, so, wie es momentan in unserer Gesellschaft läuft, wird es nicht weitergehen, auch wenn sich die herrschende Klasse in ihrer unendlichen Güte und Fürsorge dagegenstemmt.
Was man sich vornimmt, kann man auch erreichen. Jedenfalls hat mein Vater aus eigener Kraft und eigenem Geschick einen Anbau hochgezogen, Erdreich ausgehoben, gemauert, den Boden gegossen, die Wände verputzt und das Dach mit Ziegeln gedeckt. Ich war sein lernwilliger Assistent. Man braucht zum Bauen nicht nur Muskelkraft, sondern muss auch die Arbeitsabläufe voraussehen und die richtigen Materialien und die richtige Menge davon bestellen. Schließlich hat er die Fenster und die Tür noch selber eingesetzt. Dabei muss man sich an die Vorgaben des Bauplans akribisch halten. So einen Vater hat nicht jeder. Ich bin stolz auf ihn. Er ist auf dem ersten Foto zu sehen. Auf dem zweiten Foto bin ich. Es war nicht warm zu der Zeit, aber beim Arbeiten wird‘s einem schnell warm.
Mein Vater hatte das alles bei den Maurern und aus Fachbüchern gelernt. Eigentlich hatte er eine Ausbildung als Autoschlosser gemacht. Er konnte ein Auto nicht nur reparieren, sondern auseinander nehmen und wieder fachgerecht zusammensetzen.
Das Maurerhandwerk setzt schon einiges an geometrischem Verständnis und deren praktische Umsetzung voraus. Ich konnte mir einen tiefen Einblick verschaffen, wie man mit einfachen Werkzeugen, einem Lot, einer Messlatte und einem Zollstock sowie einer Wasserwaage exakte Tiefen, Längen und Breiten im Erdreich ausmisst und bin deshalb nicht überrascht über die gleichen Methoden der alten Ägypter beim Bau von Pyramiden. Wie man Hebel an geeigneten Stellen ansetzt, um schwere Brocken zu bewegen, habe ich persönlich erlebt. Die Aliens braucht man also nicht. Das sind nur Hirngespinste von Dummen, die mal richtig körperlich arbeiten sollten.
Die gute Zusammenarbeit mit meinem Vater möchte ich nicht missen. Dadurch habe ich erkenntnistheoretisch so viel gelernt und kann nur kurz sagen, dass die bürgerliche Gesellschaftsordnung, wie wir sie momentan (2021) erleben, eine transitorische Gesellschaft ist. Dieses Monstrum steht wirklich auf wackligen Beinen.
Das schöne Städtchen Hameln. Zeichnung: Hans-Joachim Dieckmann aus dem Jahre 2019
Eine schöne Zeichnung von meinem Vater aus dem Jahre 2020 mit einem Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe. Na, wer kann noch Sütterlin lesen?
Wer seinen Horizont erweitern will, muss auf die Wanderschaft gehen. Neues kennen lernen, neue Eindrücke aufnehmen und etwas selber tun, das bringt Fortschritt. Das ist keine Angelegenheit der Jugend, auch im Alter gibt es noch Vieles zu entdecken. Wer rastet, der rostet und landet ggf. in einem öden Altenheim mit gelangweilten und nörgelnden Mitbewohnern. Bewegung mit den eigenen Beinen hält Körper und Seele fit, auch wenn es schwer fällt, sich aufzuraffen.