Algebra und die Null

Algebra ist die Kunst, in bestimmten abstrakten Strukturen zu denken. Sie wird auf wenige plausible Axiome zurückgeführt. Die Beweise von Sätzen besteht nun darin, diese Axiome geschickt anzuwenden.

So fand ich es lustig, wie der Professor bewies, dass es nur eine Null gibt. Wenn ich mit dies jetzt wieder anschaue, ist mir mit einem Blick klar, wie der Beweis funktioniert. Damals in der Vorlesung prasselten aber so viele neue Informationen auf mich herein, dass ich verwirrt war.

So ist das auch im Leben, wenn man älter wird und reift, sieht man die gleiche Sache ganz anders als früher, was ich aber sofort einschränken muss. Aus unbehandelter Dummheit wird niemals Schlauheit. In der Mathematik kann man schnell feststellen, wer dumm ist. Herumschwafelei und Worthülsen haben hier keine Chance, deswegen ist sie wohl so unbeliebt. Das Schönste an der höheren Mathematik ist, dass einmal bewiesene Sätze auch in zehntausend Jahren noch gelten. In ihr findet man Ewigkeitswerte, anders als in politischen Ideen oder religiösen Fantasien.

Wie viele Engel passen in einen Fingerhut? Mit solchen Fragen sollen sich die mittelalterlichen Scholastiker befasst haben, oder es ist nur eine geschickt erfundene Frage. Sie zeigt, dass die Gelehrten im Mittelalter schon an solchen Fragen interessiert waren, die auch die modernen Mathematiker beschäftigt. Übrigens wird das Mittelalter immer als dumm und abergläubisch verteufelt. Schon damals waren die meisten Gelehrten von der Kugelgestalt der Erde überzeugt. Sie kannten doch die mathematischen Überlieferungen der alten Griechen. Unwissende Theologen haben die falsche Annahme von der Flachheit der Erde aufgrund ihres Flachhirns den Leuten aufzwingen wollen. Wenn sie an der Macht sind, können sie viel Unheil anrichten. Zu meinen Lebzeiten habe ich das beim barbarischen islamischen Staat in Syrien mitbekommen, dessen Staatsoberhaupt ein Theologe war. Ebenso falsch ist es, die Hexenverfolgungen und -verbrennungen ins Mittelalter zu verlegen. Sie fanden in der frühen Neuzeit statt, die sich durch eine extreme Barbarei bis ins 20. Jahrhundert erstreckte. Hoffentlich setzt sich das nicht weiter fort. Das Mittelalter richtig und vorurteilsfrei wieder zu entdecken ist sehr spannend. Wenn ihr also jemanden hört, der von „mittelalterlichen“ Methoden spricht, zweifelt an der Richtigkeit seiner / ihrer Aussagen und denkt euch euren Teil. Mit Dummköpfen ist jede Diskussion sinnlos. Verschwendet mit solchen Leuten eure kostbare Lebenszeit nicht.

Die Gelehrten im Mittelalter haben sich mit der Unendlichkeit ausgiebig beschäftigt. In moderner mathematischer Form äußert sich das in der höheren Mathematik mit ihrer Infinitesimalrechnung und dem Calculus. Die Suche nach der Göttlichkeit hat in der Mathematik eine schöne Fortsetzung gefunden. In der Schule wird dies nicht so klar herausgestellt, eher abschreckend und dröge dargestellt, mit Hasscharakter versehen.

Eine schöne Aufgabe ist: wie groß ist 0,9 Periode? Also eine 9 mit dem Querstrich darüber. Wird sie im Unendlichen 1 oder wird 1 nie erreicht? Solche Fragen werdet ihr in unseren Flachbildschirm-TV nicht sehen, ein Medium für Flachdenker und die es bleiben wollen.

Ehe ihr lange spekuliert, verrate ich den Lösungsalgorithmus. Teilt die 0,9 Periode durch 3 und wandelt das Ergebnis in einen Bruch um. Das Ergebnis nach der Division ist 0,3 Periode, als Bruch geschrieben 1/3. Jetzt multipliziert ihr die beiden Zahlen wieder mit 3. Es ergibt sich 0,9 Periode und 1, denn drei Mal ein Drittel ergibt eins. Damit habt ihr bewiesen, dass 0,9 Periode tatsächlich im Unendlichen 1 ergibt. Nebenbei gesagt, ich hätte das nicht gedacht. Das Unendliche verhält sich also ganz anders als es zunächst erscheint. Dies war nur ein einfaches Beispiel aus der Fülle von Unendlichkeitsaufgaben in der Mathematik. Habt ihr vielleicht jetzt einen besseren Eindruck von dem Potential der höheren Mathematik gewonnen?

Man kann so viel Neues in der uns umgebenen Welt entdecken und immer wieder staunen. Eins habe ich gelernt, die Unendlichkeit ist mehr als nur das Präfix all- vor bestimmte Adjektive zu setzen, wie z.B. allmächtig, allweise, allgegenwärtig oder dies bestimmten historischen Personen zuzuschreiben, zumindest nach ihrem Tod. Die Unendlichkeit verhält sich paradox und ist voller Überraschungen.

Kann Gott ein Gewicht heben, das so schwer ist, dass er es nicht schafft? Das ist eine nette Fangfrage, die gerne als Antigottesbeweis benutzt wird. Sie ist in dieser Frageform nicht beantwortbar und würde nur zu logischen Widersprüchen führen.

Eine ähnlich strukturierte Frage wird auch Beginnern der Mathematik gestellt mit dem Barbier, der nur andere rasieren soll. Wer rasiert ihn dann? Rabulisten würden die logisch korrekte Antwort umgehen und damit in der Klausur null Punkte bekommen. So streng wird das gehandhabt, wenn man abschweift. Oder was ist 0:0? Hierauf gibt es keine Antwort. Macht euch klar, was da steht. Nichts soll nicht dividiert werden, schön bekloppt.

In der „richtigen“ Mathematik lernt man, mit Paradoxien umzugehen. Sie schärfen das logische Denken.

Das Gabriels Horn ist ein Meisterstück der logischen Verwirrung. Es hat eine unendliche Oberfläche, aber ein endliches Volumen. Zum Glück ist das Volumen endlich, bei einem unendlichen Volumen hätte der Erzengel Gabriel einige Platzprobleme am Mundstück. Ganz schön vertrackt, nicht wahr?

Wenn solche Paradoxien mathematisch begründbar sind, könnte es auch einen Gott geben, der ein unendlich schweres Gewicht nicht heben könnte, obwohl er nach seiner Definition über unendliche Kräfte verfügt.

Ich kann das auch nicht begreifen, zeigt mir aber, dass die menschliche Erkenntnisfähigkeit doch arg begrenzt ist. Das führt mich zu dem Schluss, dass es doch etwas mehr geben muss, das unsere Wahrnehmung und unser Denken übersteigt.

Wenn ich über Gabriels Horn nachdenke, fallen mir die religiösen Aussagen über das Weltende ein mit dem Erzengel Gabriel, der aber nicht zum letzten Gefecht bläst, sondern das Finale der Menschheit symbolisiert. Interessant ist, dass die religiöse Symbolik wie eine verständlich gemachte Ausschmückung erkenntnistheoretischer Erörterungen wirkt, die sich in moderner Form in der höheren Mathematik wiederfinden, nur hier sind sie nicht so leicht zu rezipieren wie in der Theologie. Na, auf den Geschmack gekommen? Wie wär‘s mit einem Schluck aus der Pulle der höheren Mathematik?

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